Samstag Abend.

„Alleine zu Hause. So, was mach ich denn jetzt bloß? Keine wilde Party, im Fernsehen läuft auch nur Unterschichten-Müll. Irgendwie bin ich auch etwas genervt, da mein Bundesliga-Team heute so scheiße gespielt hat. Aber ich bin eigentlich auch noch gar nicht müde und hab‘ daher noch überhaupt keine Lust ins Bett zu gehen. Aber lesen? Nee! Was fang‘ ich denn nun an mit dem angebrochenen Abend?

Jaaa, schauen wir doch mal, was auf Twitter so geht. Hm, blöd, kein neues Meme da, an dem ich mich so total lustig austoben kann. Keine „Gladbach-Filme“ oder „Gabriel-Drinks“ oder sonst irgendwelche Knaller-Wortspiele. Eigentlich habe ich auch gerade nicht so wirklich was zu sagen. Aber mir ist irgendwie langweilig. Da muss sich doch irgendwas machen lassen. Verdammt!

Ooooh, schau mal, der Himmel schickt Hilfe. Da ist diese nicht so wirklich coole deutsche Popband, die es wagt, auf Twitter einen ganz abgefahrenen PR-Stunt zu fahren. Die starten einfach mal so ein … passt auf, haltet euch fest … Q&A!!!!!!! Krass, oder? Wie kommen die auf so eine geisteskranke Idee? Wie können die es wagen? Was fällt denen ein? Da kommen die einfach auf die Idee, unter einem bestimmten Hashtag die Leute aufzufordern, ihnen Fragen zu stellen, die sie dann beantworten wollen. Haha, dumme, kleine Naivlinge. Die haben wohl nicht mit uns super kritischen und gleichzeitig total kreativ-lustigen Twitter-Pros gerechnet. Na denen wollen wir mal zeigen, was ’ne richtige Harke ist. Auf die blöde Idee kommen die nicht wieder, wenn wir mit denen fertig sind. Pah!

Aber Moment, wenn ich jetzt ganz alleine so einen krassen Shitstorm starte, dann ist das ja auch irgendwie doof. Was mach‘ ich denn, wenn keiner mitmacht? Blöd. Ach nee, alles gut. Da sind noch total viele andere, die mitmachen. Haha, das wird soooo lustig und gibt bestimmt auch ganz easy ein paar Likes. Und total einfach ist es auch noch. Da mich ja diese Band überhaupt nicht die Bohne interessiert und ich die eigentlich auch nur vom Namen kenne, muss ich überhaupt nicht lange nachdenken, was ich denn schreibe. Ich formuliere einfach jeden Scheiß, der mir gerade einfällt, in eine Frage, hänge den Hashtag dran und spamme damit den Account von diesen lächerlichen Amateuren voll. Nochmal: Was die sich einbilden, ey! Tun so, als ob sie wirklich daran interessiert wären, was die Leute wissen wollen. Kohle machen, das ist doch deren einziges Ziel. Aaaaber nicht mit mir … äh, nicht mit UNS. Wir sind ja hier bei Twitter und da sind wir ja eine total eingeschworene Gemeinde. Also, Feuer frei und raus damit, Tweet für Tweet und bloß nicht den Hashtag vergessen, damit auch möglichst viele Leute sehen, was ich mir da hab lustiges einfallen lassen. Und dann am nächsten Tag, kurz bevor das Q&A dann losgehen soll, nochmal schnell ein paar Tweets hinterherschießen und meine TL darauf hinweisen, dass ich da gestern Nacht so supi-dupi lustige und voll kreative Dinge geschrieben habe. Baaam, so ein Spaß. Abend gerettet, den Leuten gezeigt, was ich für ein toller Hecht bin und gleichzeitig den scheiß fremdgesteuerten Promi-Accounts gezeigt, dass wir uns hier bei Twitter nicht kaufen oder verarschen lassen. So gut! Und wer das jetzt miesmachen will, ist eh ein spaßbefreiter Spießer. Aber zum Glück sind wir ja echt richtig viele.“

Natürlich habe ich keine Ahnung, ob irgendjemand der unzähligen Witzbolde, die sich am vergangenen Wochenende an diesem Hashtag-Hijacking beteiligt haben, auch nur annähernd so denken oder solche „Ziele“ verfolgen, oder ob überhaupt großartig nachgedacht wurde. Trotzdem lautet die Frage, die ich mir bei solchen Aktionen immer stelle, „Warum?“ Nicht, dass alles immer unbedingt einen Sinn haben muss. Auch ich gebe oft genug dummes Zeug von mir, quetsche Zeug in 140 Zeichen, das nur wenige nachvollziehen können. Aber ernsthaft, ein kurzer Überblick über Tweets zu besagtem Hashtag bringt so viel Zynismus und Boshaftigkeit hervor, die mich doch ganz intensiv an dieses Zitat erinnert, das ich an anderer Stelle schon einmal erwähnte: „Wenn du nichts nettes zu sagen hast, dann halt besser ganz die Klappe“.

Ja, mir ist sehr wohl bewusst, dass der komplette erste Teil dieses Beitrags Zynismus in Reinform ist, den ich eigentlich nicht ausstehen kann. Aber dies hier ist meine Webseite, mein „Blog“, meine ehrlichen Gedanken zu einem Thema, das mich am Wochenende beschäftigt hat und ich bombardiere hiermit nicht irgendeinen Account oder irgendeine PR-Aktion. Ich weiß auch, dass es vermutlich mit der Zeit ermüdend ist, in jedem zweiten Beitrag hier zu lesen, wie unglaublich ernüchternd und nervend ich diese „Twitter-Negativität“ in ihren verschiedenen Verkleidungen finde, aber momentan ist es wirklich so, dass mir so etwas überdurchschnittlich häufig auffällt.

Das ganze hier sind wirklich nur meine niedergeschriebenen Gedanken zu einem Samstag Abend bei einem meiner (immer noch) liebsten sozialen Netzwerke und ich erwarte eigentlich überhaupt nichts. Aber vielleicht findet ja doch der eine oder die andere irgendwann einmal kurz Zeit um mir zu erklären, warum man diese Band nicht einfach Band sein lässt, ihr Dinge machen lässt, ob es einem gefällt oder nicht. Warum man nicht einfach sagt „Ok, diese Band, die mir eigentlich total egal ist, startet eine PR-Aktion. Finde ich irgendwie doof. Aber eigentlich habe ich weder Zeit noch Lust, sinnvolle Kritik dazu loszuwerden, also halte ich einfach den Mund.“ Vielleicht habe ich ja auch etwas übersehen, und besagte Band hat ganz schreckliche Dinge getan, für die man sie als „aufrechter Twitterer“ ordentlich bestrafen muss. Vielleicht haben sie ja ihre Unterkiefer ausgehakt und ein kleines Kind bei lebendigen Leibe gefressen? Vielleicht haben sie eine Solidaritäts-Zeitungsanzeige für einen umstrittenen anderen Künstler unterschrieben? Vielleicht sind sie CDU-Wähler? Oder Katar-Reisende? Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas scheinen sie ja verbrochen zu haben, oder warum lässt man sie nicht in Ruhe Fragen beantworten von Menschen, die es wirklich interessiert, die diese Band wirklich gerne mögen, denen dieser mehr oder weniger direkte Kontakt zu ihren Idolen vielleicht wirklich etwas bedeutet.

Herzlichst,
Spaßbefreiter Spießer